Keynote Rede von Prof. Dr. Rainer Kuhlen/ Keynote speech by Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Gehen der Informationsgesellschaft die Utopien aus?
In der Informationsgesellschaft – in den 90er-Jahren von vielen euphorisch gefeiert – sollte es ein realistisches Ziel sein, dass Menschen für ihr aktuelles Handeln frei auf gute Information zurückgreifen können, also auf Information (besser Informationsobjekte), die sich auf Wahrheit, Richtigkeit, etc., auch Vertrauen, Glaubwürdigkeit etc. gründet. Das war fast schon eine Utopie in Richtung Realität. Allein hat die Geschichte gezeigt, dass Utopie offenbar gar nicht anders kann, als in Dystopie zu enden. Ansätze zum Umschlagen der guten Informationsgesellschaft in eine dystopische Gesellschaft sind heute mehr als deutlich zu erkennen. Zähneknirschend wird man kaum bezweifeln können, dass die Informationsgesellschaft in immer mehr Bereichen der Gesellschaft eine Desinformationsgesellschaft geworden ist. Der Trend verstärkt sich gegenwärtig weiter durch die Anwendung von KI-Verfahren. Eine Zeit lang war die Hoffnung da, dass KI-Desinformations-Erkennungssoftware (DES) mit effizienten Faktenchecks erfolgreich sein könnte, die Desinformationsobjekte erkennen und potenzielle Nutzer davor warnen zu können, die Desinformationen nicht als Information anzusehen und sie so nicht für ihre Handlungen zu nutzen. Dem steht entgegen, dass KI-Desinformations-Produktions-Software (DPS), zum Teil auf der Grundlage der DES, mächtiger und vor allem erfolgreicher als DES geworden ist. All das mit noch gar nicht auszumachenden Folgen für Wirtschaft und Politik, aber im Grunde für alle Bereiche der Gesellschaft.
Dagegen werden keine Entwürfe von Utopien mit einem umfassenden Umsetzungsanspruch helfen. Machen wir es also ein wenig kleiner und setzen – im Sinne von Kant – anstelle von Utopien auf regulative Ideen. Sie haben den Vorteil, dass sie als handlungsregulierend wirken können, aber nicht den Anspruch erheben, je gänzlich Realität zu werden. Das macht sie vielleicht erfolgreicher als die Utopien. Trotzdem bleibt die Titelfrage dieses Vortrags bestehen – nun in der Form „Gehen der Informationsgesellschaft die regulativen Ideen aus?“ Wir machen das – entsprechend dem Motto von ISI 2023 ¬– noch etwas kleiner ¬und fragen nach den Bedingungen der Möglichkeit für die Realisierung von Nachhaltigkeit beim Umgang mit Wissen und Information. Da wir für „Nachhaltigkeit“ das Konzept der regulativen Ideen in Anspruch nehmen, hat das den Vorteil, dass wir keinen totalen Erfolg von Nachhaltigkeit versprechen müssen, aber dann doch Hinweise auf Erfolge von Nachhaltigkeit in der Informations- und Wissens-ökonomie geben können. Damit könnten wir die Frage dieses Vortrags mit einem vorsichtigen „nein“ beantworten.
Zum Speaker:
Prof. Dr. Rainer Kuhlen ist ehemaliger Universitätsprofessor für Informationswissenschaft im Fachbereich Informatik und Informationswissenschaft an der Universität Konstanz. Kuhlen war 1990 maßgeblich an der Gründung des Internationalen Symposiums für Informations-wissenschaft beteiligt. Weitere Details zu Rainer Kuhlen finden sich auf der Homepage des Lehrstuhls für Informationswissenschaft der Universität Konstanz unter: www.kuhlen.name.
Prof. Dr. Rainer Kuhlen is a former university professor for Information Science in the Department of Computer and Information Science at the University of Konstanz. Kuhlen was instrumental in founding the International Symposium for Information Science in 1990. Further details on Rainer Kuhlen can be found on the homepage of the Chair of Information Science at the University of Konstanz at: www.kuhlen.name.
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